Selected Writings
„Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss“ , sagt Heraklit und meint damit soetwas wie die Flüchtigkeit allen gedanklichen “Fortschritts“.
Das alles fliesst, erklärt, warum die Halbwertszeiten der Erkenntisse immer kürzer und die kritischen Gedanken darüber nicht weniger kurz geraten. Gerade werden sie , von den Stromschnellen technischer Exponentialität mitgerissen ….
So, wie das Wesenhafte der Kunst.
Es bedurfte einer Odyssee durch die Expressionsgeschichte des Abendlandes, bis sich die Bildende Kunst als das verstand, was heute die Individuation der Werkprozesse heisst.
In der Neuzeit werden sie zum Ideal und subjektiv-ästhetischer Empfindung, zur Antithese, die den alten, feudalen Abhängigkeiten, besonders aber den aufkommenden Naturwissenschaften mit ihren Geltungsansprüchen den Kampf ansagen.
„Das Aesthetische will nicht zur Macht kommen, sondern das Prinzip der Macht demaskieren.“ So steht es noch bei Elizabeth Lenk in „Ethik des Aesthetischen“.(1)
Aber schon in der Gestalt ihres gewonnenen Selbstbewusstseins als moralische Instanz - das abendländische Credo des Guten, Wahren, Schönen - muss Kunst erkennen, dass die aufkommende Industriealisierung ihr dieses Versprechen streitig macht.
Das Werk der Hände , selbst technischen Ursprungs, befand sich unvermittelt im Sog eines sich verselbstständigenden, technischen Innovationsschubs der den Lebensalltags von Grund auf veränderte - einer Moderne , die die ästhetischen Experimente der Kunst nutzte um sie zu zentrieren, zu kanalisieren und zu kapitalisieren.
So wie am Ende der Antike die homerischen Mythen zerfallen und übergehen in den christlich-sprituellen Monotheismus - beansprucht die technologisch ausgreifende Naturwissenschaft die Verfügungsgewalt auch über die Phänomene .
Es wendet sich das Verhältnis von Werk und Werkzeug zu dessen Gunsten. Damit ist die Entwicklungsrichtung auch für die Kunst vorgegeben.
Die Produktivkraft des Bewusstseins verdichtet sich nun in jenem methodischen SYSTEMGEDANKEN „ (…) der die Mannigfaltigkeit der Teile zur Einheit zwingt. (…)“(2)
Hergeleitet aus der Phänomenologie geistiger Emergenz, die das eigene Forschreiten aus sich selbst hervorbringt(3) - entsteht die Illuminationsmaschine der Moderne. Ihre polyglotte Apparation (und ihre potenzielle Skrupellosigkeit) kann die sie treibende Sehnsucht nach Metaphysik und Spiritualität, die sich stets im Ästhetischen als Das Schöne verbergen, bedienen - kalkulierter und unmittelbarer noch als es das Versprechen der Kunst jemals vermochte - auf Knopfdruck eben.
Das geht überein mit dem Systembegriff als solchem: als eine übergreifende Macht des Allgemeinen über das Individuum.(4)
Und das hat ein denkgeschichtliches, zentraleuropäisches Datum :
Der nach Kant und Fichte erste "Kognitionsdesigner" des deutschen Idealismus, Friedrich Hegel, nimmt früh schon den systemischen Verfügungsanspruch auch über das Ästhetische in seine Wissenschaftsbetrachtung auf und bringt die scheinbar disparaten Gedanken von Kunst und Kognition zusammen:
„(…) Ich bin nun überzeugt“, sagt Hegel in seiner Antrittsvorlesung in Berlin 1818, „ dass der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle umfasst ein ästhetischer Akt ist und das Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind . Der Philosoph muss ebensoviel ästhetische Kraft besitzen wie der Dichter."
Hier scheint die geistige Trias einer idealen Ganzheit auf. Schon im Neologismus der platonischen „Vernunftseele" ist sie philosophisch grundgelegt.
Sie gilt als Nukleus der Produktions- und Erfolgsgeschichte des abendländischen Denkens.
Der Deutsche Idealismus, verkürzt gesagt, das historisch konstitutive Fundament des Designthinkings heutiger Prägung liefert den antikisch-mythisierten Hintergrund für dessen Verfügungsphantasien.
"(...) Von der Grösse und Macht seines Geistes kann der Mensch nicht gross genug denken," verkündet Hegel weiter. „ Das zuerst verborgene und verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft, die dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte , es muss sich vor ihm auftun , und seinen Reichtum und seine Tiefen ihn vor Augen legen und zum Genusse geben. (....)" (5)
Schon hier zeigt sich die Protoform einer "zum Genusse der Grösse und Macht des Menschen" systemisch ausgebeuteten Natur, die sich in ihrer „Schönheit und Güte“, Wille und Vorstellung des Menschen zu unterwerfen habe.
Der, von der Aufklärung vorformulierte finale Zielpunkt, auf den epistemologisch alles zulaufen wird ist schon abzusehen:
Die Entgegenständlichung der materiellen Welt durch ihre abstrakten, subatomaren Energien, von der z.B. die Quantenphysik auch ästhetisch kündet:
„Ich hatte das Gefühl, durch die Oberfläche der atomaren Erscheinungen hindurch auf einen tief darunterliegenden Grund von merkwürdiger innerer Schönheit zu schauen“ , schwärmt Werner Heisenberg, der die Quantentheorie mitentwickelte „ … und es wurde mir fast schwindelig bei dem Gedanken , dass ich nun dieser Fülle von mathematischen Strukturen nachgehen sollte , die die Natur dort unten vor mir ausgebreitet hatte.“ (6)
Die mentalistisch gefärbten Beschreibungen - zeitlich getrennt durch ein Jahrhundert - sind in iher Ähnlichkeit frappierend; sie beanspruchen über den positivistischen Blick hinaus auch die spirituelle Dimension des Idealen, die sich einer exakten Methodisierung entzieht.
Hier dringt das Design der Wissenschaft in die ästhetisch verschlossene Sphäre des künstlerischen Bewusstseins vor, um sie, so kann man sagen, mathematisch in Besitz zu nehmen.(7)
Es waren die Künstler, die, will man es naturwissenschaftlich ausdrücken, als Erste in die inter-molekularen / subatomaren Tiefen der Materie hinabstiegen und erfuhren was es heisst, wenn sich die raumzeitlich indeterministische Physik und die energetisch-synaptischen Felder des künstlerischen Bewusstseins hier unten als miteinander verschränkt offenbaren und ein sensorisch - ästhetisch-abstraktes Wirklichkeitsempfinden jenseits aller Mathematisierbarkeit ermöglichen.(8)
In diesem Zustand Heisenberg`scher Unschärferelation wird das anschauende Selbst - wie in der Quantenphysik - mit dem Angeschauten identisch d.h. universell. Es wird zum raumzeitlich Fremden seiner selbst(9), wodurch sich jeder Unterschied zwischen Objekt und Subjekt, Innen und Aussen, Ort und Zeit , Ursache und Wirkung aufhebt. Die klassische Physik verliert ihre Gewissheiten.
Diese indeterministische Sphäre der künstlerischen Abstraktion nannte Walter Benjamin „Aura“, Kandinsky "Das Geistige in der Kunst“ und Malevitch "Die gegenstandslose Welt“.
Ihre semiotisch-vektoriellen Elementarzeichen, so kann man sagen, entsprechen auf der ästhetisch-ikonografischen Ebene künstlerischer Empfindung den Elementarteilchen der Quantenmechanik (Qubits) - dem Quell sublimer Naturerfahrung. Sie transferieren sich offenbar nach kosmologisch fundierten Gesetzen einer informationellen Vorprägung („Protyposis“)(10) auch in die gegenstandslose Ikonografie der modernen Malerei, in ihre abstrakte Semiotik.
Paul Klee fasste es zusammen: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“
In diesem Sinne sind Kunstwerke Transformationen indeterministischer Energien des physikalisch Elementaren, die sich mit der intermolekularen Ebene der Bewusstseins-Materie verbinden, um so die gegenstandlose Struktur der unbekannten Realität der Natur , in der die raumzeitlichen Gesetze der klassischen, sprich objektivistischen Physik nicht mehr gelten, künstlerisch zu sublimieren.
Dort, wo sich die Grenze zwischen Beobachter und Beobachtetem aufhebt, werden Künstler und Werk eins.(11)
Velazquez („Las Meninas“), Duchamp („readymade“ / "Junggesellenmaschine“), Malevitch („Suprematismus“) und Mondrian („Abstraktion & Natur“), sind dafür nur einige historische Beispiele, deren ästhetische Kompositionen den Wirkmechanismus eines Algorithmus erahnen lassen. Nicht mehr das nur mimetische Sujet, sondern die Tiefenstruktur der sich selbst beobachtenden Wahrnehmung wird zum Thema.(12)
So erscheint ästhetische Sublimation nicht nur als Triebkraft der modernen Erkenntnis- und Expressionsgeschichte, sondern auch als Teil eines vermeintlichen Wettbewerbs zwischen Natur und Technik.
Kunst (genauer: das Ästhetische) sieht sich hineingezogen in die ideologische Kontroverse verschiedener Wahrheits- und Erlösungsversprechen für den zwischenzeitlich erkalteten Menschen eines technisch-utilitaristischen Zeitalters.(13)
Dass Kunst sich den Deutungsambivalenzen eines solchen Streits nicht entziehen konnte macht klar , wie sehr sie selbst an der Instrumentalisierung des Begriffs und den heutigen Erwartungen des Betriebs beteiligt ist.(14)
Kunst hat sich - entgegen ihrer idealisch altruistischen Gestik - in Wahrheit den neuen Verfügungstechniken nicht nur zeitgeistig affirmiert, sondern diese durch ihren ungehemmt schöpferischen Progress mit hervorgebracht ; sie hat sich äusserst lustvoll, so scheint es, dem nihilistisch grundierten Zustands-Zauber ihrer eigenen Götterdämmerung ergeben, den sie immer schon zugunsten ihres eskapistischen Ideals beschwor, bediente und inszenierte.(15)
So erscheint ausgerechnet die ästhetische Pleonexie, die Kunst mit dem Innovationszwang der wissenschaftlich-instrumentellen Episteme , den sie als strukturelle Ursache einer solchen Entwicklung vorgibt zu unterlaufen , synchronisiert.
Denn in Wahrheit finden hier zwei Erkenntnis-Strömungen der abendländischen Erkenntnis- und Werkzeuggeschichte zusammen. Intuitiver Idealismus und kognitiver Realismus bilden dabei ein opportunistisch widerstreitendes Duo.
Diese Camouflage vollzieht sich in Wahrheit erschreckend einvernehmlich, weil Kunst und (eine noch immer nicht verstandene mythisierte) Technik denselben idealischen Ueberbau haben - sie wollen aufgehen im Absoluten.
Das Systemische - „hin zu einer vollendeten Einheit“ - universalisiert sich im Allmachtsanspruch künstlicher und künstlerischer Intelligenz und wird selbstreferenziell. Das kennt die Physik als den Endzustand der Entropie.
Schaut man genauer hin, erkennt man hier soetwas wie den kybernetischen Widerschein der Hegel`schen Dialektik. In Vollendung ihrer Logik zeigt sich nun - so scheint es - die Kontur eines zu sich selbst gekommenen Weltgeistes. Kunst und innovative Technik als vermeintlich antithetisches Kontinuum münden ein in die Totalität der gemeinsamen apparativ-ästhetischen Utopie einer idealischen Widerspruchsfreiheit.(16)
Mit welchen Argumenten wird eine solche Scheindebatte geführt und was sagt sie wirklich?
Während das Aesthetische, wie behauptet nicht zur Macht strebt, vielmehr das Prinzip der Macht demaskieren soll, (wie naiv auch immer angesichts der Kapitalisierung dieser Naivität ….) , will Technik diese Macht erringen und sie zugunsten ihrer Verewigung verschleiern.(17)
Gerade technische Errungenschaften sind niemals nur wissenschaftsgeschichtliche Theorie geblieben, sondern stets empirische Realität geworden. Die Nuklearwaffen aus dem Giftschrank der Physik haben den Planeten an den Rand der Katastrophe geführt und die Möglichkeiten des Technischen ins Absurde vergrössert.
(Die dionysische Spekulation mit Menschenleben durch Kunst dagegen, kennen wir bislang nur aus den Mythologien - noch , das wird sich ändern…)(18)
Trotz Empirie und vorgegebener Läuterung (sprich: trotz Nietzsche) scheint sich heute die Hybris des Denkens im Ideal des technischen Fortschritts zu wiederholen und fortzuschreiben.
Die Nutzung subatomarer Energien als neue Triebkraft des „Designthinkings“ wird nicht nur unser Wirklichkeitsempfinden, sondern die Wirklichkeit selbst verändern, d.h. die klassischen Gesetze der Physik relativieren und in eine energetisch entkörperlichte Kybernetik überführen.
Das zukünftig quantenmechanische Design der Wirklichkeit ist nur der Vorschein einer aufkommenden, noch nicht wirklich verstandenen künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence, AI ) worin alles, besonders alles Ästhetische aufgehen wird, weil es sich selbst für dass Ästhetische hält.
"Wer von der Quantentheorie nicht schockiert ist, hat sie nicht verstanden"
sagt Nils Bohr(19). Er muss es wissen, er hat sie mitentwickelt.
Der Philosoph Hans Blumenberg zieht den Geltungsbereich entsprechend strukturell : "Die Ueberführung der elementaren Energie in die technische Realität bedeutet eine Krise der ethischen Kraft der Menschheit." (20)
Durch die Umsetzung stofflich linearer Wirklichkeit in virtuelle Energien - technisch schon erprobt durch die Algorithmisierung menschlicher Sensorik - zeigt sich ein ähnliches Bedrohungspotential, wie jenes der kalkulierten Möglichkeit nuklearer Annihilation.
Denn die Entelechie des Virtuellen , konsequent zu Ende gedacht nimmt die Entmaterialisierung des biologischen Körpers nicht nur in Kauf, sondern vorweg.
In diesem Kontext erscheint die Begeisterung und Ergriffenheit Werner Heisenbergs angesichts der probabilistischen Metaphysik der Materie wie ein unheilschwangeres Versprechen zur "Erlösung der Menschheit aus dem Ungenügen an der teleologischen Vorsorge der Natur " (21). Auch deshalb wohl erklärt er sich - zusammen mit seinem Mitstreiter C. F. v. Weizsäcker - zur handwerklichen Exekution dieses Versprechens bereit - unbeeindruckt davon, dass sein Auftraggeber mit Namen Adolf Hitler heisst .
Eine solche mentale Dissoziation macht sichtbar, was geschieht wenn „ästhetisches Bewusstsein“ und dessen politische Ideologisierung auf das Pragma des Machbaren trifft : ihre eingeebneten Elemente können sich nicht mehr widersprechen .
Aber wem gilt die Klage ?
Es sind die Entgrenzungsphantasien des Denkens selbst das sich seine automotorischen Aequivalente geschaffen hat ; Hervorbringungen einer von epistemischer Pleonexie getriebenen Werkzeuggeschichte.
Träten wir vom Zukunftsfuror der Motivationssysteme einen Schritt zurück, sähen wir in dieser prothetischen Umwälzung der Menschheitsgeschichte die finale Entwicklungsstufe eines aus unserem verborgenen Mangel enstandenes, nach Vollkommenheit hungerndes Bewusstsein.
Kunst verklärte diesen Vorgang durch die trojanischen Apologien des "Schönen“. Sie verdeckte und beförderte deren apollinisch-dionysische Dialektik mit ihrem ambitionierten , spirituell grundierten Abstraktionismus , denn (...) die Natur nachzuahmen heisst immer ihrer I d e e (des Teleologischen überhaupt) habhaft werden zu wollen. In der Tat gründet darauf jede ästhetisch-idealische Utopie (incl. Antithese).
Sie technisch raumzeitlich nachzubilden um sie nicht nur - wie insinuiert -anschaulich zu machen, sondern zu beherrschen, war stets das wahre Ziel des epistemisch agierenden Bewusstseins.
Marcel Duchamp erkannte diese ontologisch subversive Utopie damals bereits wie die heutigen Ouantenmechaniker im Maschinenraum von Morgen :
„ Wenn unsere 3-D Wirklichkeit 2 dimensionale Schatten wirft, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass unsere 3-D-Wirklichkeit der Schatten einer 4. Dimension ist “ (22).
Von den 11 (und mehr) Dimensionen der String- und M-Theoerie die ein nie gekanntes Evolutionsdesign projektiert , konnte Duchamp noch nichts wissen.(23)